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Zamrucken in Krisenzeiten: ein Unternehmen mit solidarischem Nähsinn

Aktualisiert: 23. Sept. 2022


Kernform Interview Hutmacherei Wiesner
[Bildquelle: © Hutmacherei und Trachten Wiesner | www.hutmacherei-wiesner.de]

Das Unternehmen Wiesner ist ein Paradebeispiel für familiären Zusammenhalt, denn der gerade einmal 20-jährige Martin Wiesner hat 2005 das Unternehmen gegründet und die gesamte Familie hat mit angepackt. So war der Papa als Schreiner verantwortlich für die Ladeneinrichtung, die Mutter, eine Schneidermeisterin, nähte die Hutgarnituren und auch Schwester und Cousine halfen, wo immer es ging. Was mich aber besonders in Corona-Zeiten am Familienunternehmen Wiesner begeistert hat, war deren solidarischer Nähsinn. Genau dies habe ich zum Anlass genommen, mal ein bisschen genauer bei der Frau des Gründers Susanne Wiesner nachzufragen.

 

Sie sind im Tegernseer Tal mit sehr gutem Beispiel vorangegangen und haben einfach angefangen, anstatt Mieder und Blusen Masken zu nähen. Wie kam es zu der Idee?


Wir haben Nachrichten geschaut und da war von einem Engpass von Masken für die Helfer die Rede. Da hatte noch keiner über die allgemeine Maskenpflicht gesprochen. Und mein Mann und ich waren uns einig, dass wir Leute, Maschinen und Kapazität hätten, Masken zu fertigen.

am 25. März haben wir die ersten Muster genäht und gleich für den Katastrophenschutz angefangen, größere mengen zu nähen.

Wann genau haben Sie die erste Maske genäht?


Bei der Regierung von Oberbayern hatte ich mich so um den 20. März 2020 rum gemeldet, dass wir als Maskennäher zur Verfügung stehen würden. Am 25. März haben wir die ersten Muster genäht und gleich für den Katastrophenschutz angefangen, größere Mengen zu nähen. Am Anfang waren wir schon etwas überfordert. Wo kriegt man das Material her? Welches Material taugt was? Wie können wir unsere Arbeitsschritte so einteilen, dass wir am effektivsten arbeiten können? Gottseidank waren wir recht früh dran. Zwei Wochen später hat es deutschlandweit einen regelrechten Kampf um Gummis, Stoffe und Nähgarne gegeben.


Sie konnten nicht nur Ihre Mitarbeiter weiter beschäftigen, sondern haben auch NäherInnen aus anderen Trachtengeschäften beschäftigt. Ist das richtig?


Ja, wir mussten ja auch noch unsere Hutaufträge weiterhin fertig nähen. Deshalb hatten wir nach kurzer Zeit schon einen Engpass. Es hat uns wahnsinnig gefreut wie solidarisch Trachten Greif uns mit Stoffen und Mitarbeitern zur Seite gestanden ist. Gabriele hat dann in Heimarbeit vor allem die Bügelarbeiten übernommen. Wir waren und sind da sehr dankbar.



Wieviele Masken nähen Ihre Mitarbeiter am Tag im Schnitt?


Kommt natürlich drauf an, wieviele Schneiderinnen am Tag eingeteilt sind, wieviel Bänder vorgeschnitten und Pads vorgebügelt sind. Und ob auch alle Nähmaschinen so richtig wollen. Wir haben uns in der Zeit - was jetzt echt absurd klingt - zwei neue Industrienähmaschinen gekauft. Die haben sich jetzt durch die Masken noch nicht abbezahlt, aber unsere Mädels konnten mit dem automatischen Fadenabschneider, etc. viel schneller arbeiten. Also wenn alles gut geht, schaffen wir ca. 600 Stück am Tag. Aber man kann dieses Arbeiten am Limit, denn die Arbeit ist wahnsinnig monoton und anstrengend, nicht auf Dauer machen. Unsere Mädels haben wahnsinnig geackert. Das war jetzt wirklich kein leicht verdientes Geld, aber wir mussten keinen in Kurzarbeit schicken und konnten auch was sinnvolles in der Zeit leisten.


Die Masken können u.a. auch in Ihrem Online-Shop gekauft werden. Wieviel % verkaufen Sie und wieviel % verschenken Sie an Einsatzkräfte, Ärzte und Co?


Wir haben an Einrichtungen, mit denen wir selbst verbunden sind, gespendet. Aber sonst mussten wir die Masken schon verkaufen, weil wir leider durch die Geschäftsschließung nicht den Luxus hatten, viel zu verschenken. Unsere Mitarbeiterinnen bekommen einen fairen Lohn - die Masken waren und sind nur zum Aufwand hin kalkuliert, da blieb keine Gewinnmarge. Prozente sind jetzt schwierig, aber unsere Priorität auch in der Belieferungsschnelligkeit lag immer beim Katastrophenschutz und allen medizinischen Einrichtungen. Wir haben aber auch sehr viele Betriebe und Privatleute beliefert.


Haben Sie ein Umsatzplus im März und April 2020?


Nein - wie alle Einzelhändler kam diese Krise zu einem sehr schwierigen Zeitpunkt. Januar/Februar sind sehr umsatzschwache Monate in der Tracht. Aber genau da kommt die ganze Ware für das Frühjahr. Eigentlich geht es im März immer erst richtig los und genau da kamen die Ladenschließungen. Wir haben schnell reagiert und auch einen Online-Shop aufgemacht. Der und die Masken haben uns über die Unkosten des Betriebs (20 Mitarbeiter) getragen, aber im Grunde war es eine Nullnummer. Zwischendrin als es richtig stressig war, haben mein Mann und ich uns schon kurz überlegt, ob es nicht gemütlicher gewesen wäre, den Betrieb ganz runter zu fahren und Kurzarbeitergeld zu beantragen. Doch erstens haben wir Mitarbeiter mit monatlichen Fixkosten, die verlassen sich auf uns und zum Anderen sind wir das nicht. Wir brauchen einfach die Arbeit. Wir haben auch Investitionskredite beantragt - bisher ist noch nichts angekommen - deshalb bin ich jetzt sehr froh, dass wir uns nicht zurückgelehnt haben.

Uns ist bewusst, dass dieses Jahr kein vergleich zu den letzten sein wird, aber uns persönlich macht es nicht so viel aus, solange wir für unsere Mitarbeiter genügend arbeit haben und sich das trägt.

Ist ihr Umsatz an traditionellen Trachtengewand ebenso gestiegen, gleich geblieben oder gesunken in den Monaten März und April?


Der ist nach unten gegangen. Der Online-Shop hat es uns schon ermöglicht, dass wir nicht im alles im Lager lassen mussten, aber es ist nicht vergleichbar mit sonst. Wir wurden auch hier ganz viel von unserer Stammkundschaft aus ganz Deutschland und Österreich getragen, die haben uns wahnsinnig unterstützt. Natürlich ist die Regelung, dass es erst mal keine Festl geben wird, für alle in der Trachtenbranche hart, aber wir sind gottseidank nie so wiesnabhänigig gewesen, wie beispielsweise Münchner Geschäfte. Uns ist bewusst, dass dieses Jahr kein Vergleich zu den letzten sein wird, aber uns persönlich macht es nicht so viel aus, solange wir für unsere Mitarbeiter genügend Arbeit haben und sich das trägt. Generell ist ja auch logisch, dass es nicht jedes Jahr schneller/weiter/besser sein muss. Viele unserer Kunden tragen die Tracht nicht nur zweimal im Jahr, sondern die Tracht ist das besondere Gwand in deren Leben. Und eine ältere Dame aus der Hutbranche hat zu uns gesagt, der Hut hat auch immer in den schlechten Zeiten überlebt. Deshalb sind wir trotzdem positiv.


Haben Sie in den laufenden Monaten für Ihr Marketing eher mehr ausgegeben oder weniger im Vergleich zu März, April 2019?


Wir geben generell sehr wenig für Marketing aus, denn wir machen so gut wie alles selbst. Wir hatten eine Anzeige geschaltet, die schon seit letztem Jahr geplant war: Unser 15-jähriges Jubiläum hätten wir eigentlich mit einem großen Fest am Voitlhof gefeiert, das ist ja aus bekannten Gründen nicht gegangen. Werden wir aber, wenn es wieder geht, um so freudiger nachholen.


"Unser Team ist mit uns gemeinsam durch diese zeit gegangen - wir sind stolz auf jeden unserer Mitarbeiter - weil wir alle daran gewachsen sind."

Haben Sie in Ihrem Unternehmen Werte definiert? Kennen Ihre Mitarbeiter diese? Wenn ja, wo sind diese nachzulesen?


Also so direkt definiert haben wir das jetzt nicht, aber ich denke, dass wir schon immer für guten und persönlichen Kundenservice stehen und gute Qualität abliefern. Martin und mich ärgert es viel mehr als schlechte Umsätze, wenn ein Teil unseren Laden verlässt, das nicht 100% durch Qualität überzeugt. In den letzten Monaten hat sich aber in unserem Geschäft der Zusammenhalt und die Empathie nochmal gewaltig gesteigert. Unser Team ist mit uns gemeinsam durch diese Zeit gegangen. Wir sind stolz auf jeden unserer Mitarbeiter, weil wir alle daran gewachsen sind.


Gibt es bei Ihnen im Hause eine Vision für die Hutmacherei Wiesner? Ein Leitstern, nachdem sich sämtliche unternehmerischen Aktivitäten im Hause ausrichten? Ist diese irgendwo aufgeschrieben oder ist das ein gelebtes Bauchgefühl?


Martin und ich sind auf jeden Fall Entwickler. Wir können eigentlich nie ruhig sein. Ist das eine schön, spinnen wir schon am nächsten rum. Das nervt auch, weil wir schwer abschalten können, aber wir haben unseren Sohn, unseren Garten und nun auch Hühner die uns dabei sehr helfen. Natürlich spinnen wir auch für die Zukunft weiter, aber wir hinterfragen auch alles: Macht uns das jetzt glücklicher? Denn um das geht es am Ende des Tages. Geld macht das auf jeden Fall nicht.


wir haben eh das gefühl, dass es viel wichtiger ist, seinen eigenen weg zu finden, als sich auf den der anderen zu konzentrieren, sonst ist man nicht authentisch.

Wie positionieren Sie sich gegenüber ihren Wettbewerbern? Was macht Wiesner einzigartig?


Wir denken eigentlich nicht viel über unsere Mitstreiter nach, das entspannt sehr. Durch die Krise hat sich auch in der Branche ein gewisser Zusammenhalt wieder erweckt, den begrüßen wir sehr. Wir haben eh das Gefühl, dass es viel wichtiger ist, seinen eigenen Weg zu finden, als sich auf den der anderen zu konzentrieren, sonst ist man nicht authentisch. Wir hoffen sehr, dass durch die Krise nicht viele Geschäfte aufgeben müssen.


Glauben Sie, dass in Krisenzeiten die Menschen näher „zamruckn“? Wie empfinden Sie das „Wir-Gefühl“ im Tegernseer Tal?


Ja und nein. Ich hab am Anfang der Krise - sprich "Klopapierdrängeln" - eine sehr ichbezogene Gesellschaft erlebt. Wenn es ums vermeintliche Überleben geht, schauen viele nicht nach rechts und links. Ist aber vielleicht ein urmenschlicher Trieb. Auch das Anpöbeln der Münchner fanden wir nicht in Ordnung. Denn hier im Tegernseer Tal leben wir nun mal vom Tourismus, und da ist es nicht sehr hilfreich, wenn man in solchen Zeiten mit Eiern wirft.

Aber viele besinnen sich gerade in diesen Zeiten: Was ist wichtig? Und das ist nun mal Zusammenhalt und der hat sich auch enorm gezeigt. Sonst wären wir mit den Zahlen nicht da, wo wir sind. Ich glaube, extreme Situationen bringen auch extreme Gefühle mit sich und mit denen geht jeder anders um. Und es schadet uns allen nicht zu sehen, in welchem Überfluss und auf welcher ständiger Überholspur wir leben. Ich hoffe sehr, dass die Krise uns allen wieder etwas Demut vor Freiheit und Gesundheit gelehrt hat.


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